Betablocker bei Herzinsuffizienz – keiner besser als der andere

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

in den letzten Tagen haben Sie zwei blitz-ats als Benefits zu aktuellen Arzneimittelproblemen erhalten. Dass ich Ihnen heute eine weitere Mitteilung zumute, hat mit meiner (zugegeben spekulativen) Annahme zu tun, dass ich Ihnen wieder einmal eine persönlich formulierte Nachricht schulde…

1 Betablocker zählen zu den etablierten Behandlungsprinzipien bei Patienten mit Herzinsuffizienz; sie wirken symptomatisch und verbessern die Prognose.

In den aktuellen Leitlinien wird aber ausschließlich bestimmten Substanzen das Wort geredet. So heißt es in den Guidelines der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie von 2010:

„In kontrollierten Studien konnte belegt werden, dass additiv zu einem ACE-Hemmer bei herzinsuffizienten Patienten in den NYHA-Stadien II bis IV eine vorsichtig eingeleitete β-Blocker-Therapie mit Bisoprolol, Carvedilol und Metoprolol sicher ist, zu einer Verbesserung der linksventrikulären Pumpfunktion führt und die Gesamtsterblichkeit und plötzliche Herztodesrate reduziert … Anders als bei ACE-Hemmern geht man bei β-Blockern nicht von einem Gruppeneffekt aus, sondern es sollten nur die genannten Substanzen eingesetzt werden. … In der Altersgruppe > 70 Jahre kann bei Herzinsuffizienz auch Nebivolol verordnet werden.“

Fast wortgleich lesen sich die Empfehlungen der Nationalen Versorgungsleitlinie Herzinsuffizienz (Version 1.5, 2012), die in der nachfolgenden Tabelle dargestellt ist:

Bild 1

Sieht man sich die wissenschaftlichen Belege für diese Statements genauer an, so stellt sich heraus, dass viele der als relevant eingestuften Studien oft nur eine kleine Patientengruppe für kurze Zeit untersuchten und bislang keine systematische Übersicht zum Thema existiert.

Amerikanische Wissenschaftler legten jetzt im British Medical Journal eine Netzwerk-Metaanalyse vor, deren Ergebnisse den Leitlinienempfehlungen widersprechen.

[Der Arzneimittelbrief (2003) definiert die Unterschiede zwischen einer üblichen Metaanalyse und einer Netzwerk-Metaanalyse wie folgt:

Eine Metaanalyse fasst Studien mit gleicher Fragestellung zusammen, um auf diese Weise größere Patientenzahlen und damit eine höhere Aussagekraft (Power) zu erreichen. [Beispiel: alle Studien, die antihypertensiv wirkende Diuretika mit Plazebo vergleichen = direkter Vergleich]. Die Vergleiche werden als Relatives Risiko beschrieben (RR).

Die Netzwerk-Metaanalyse führt zusätzlich den indirekten Vergleich ein, d.h. einen Vergleich der Relativen Risiken (RR) von zwei verschiedenen Substanzen, die nicht direkt gegeneinander getestet wurden, sondern jeweils separat gegen Placebo. „Die Netzwerk-Metaanalyse geht also methodisch in einer Weise vor wie ein medizinisch belesener Arzt, der sich aus verschiedenen ähnlichen Einzelstudien ein Bild zu machen versucht“. Für die methodisch Interessierten unter den Leser/innen der Benefits ein Literaturzitat: „Indirekte Vergleiche therapeutischer Interventionen können theoretisch bei Einhaltung ihrer Voraussetzung – Homogenität in den zusammenzufassenden Studien – zu den gleichen Ergebnissen kommen wie Metaanalysen von direkt vergleichenden Studien“ (Schöttker B, Lühmann D, Boulkhemair D, Raspe H. Indirekte Vergleiche von Therapieverfahren. DIMDI, Köln 2009, zu finden mit jeder generischen Suchmaschine).

Wie sich das Netzwerk im konkreten Fall grafisch darstellt, zeigt die folgende Abbildung:

Bild 2

Die Autoren der Arbeit suchten in den größten medizinischen Datenbanken (u.a. Medline, EMBASE, Cochrane Library und Web of Science) nach randomisiert-kontrollierten Studien – in einem Zeitraum bis zu 46 Jahre!  Primärer Endpunkt war die Gesamtmortalität zum spätesten, erfassten Nachuntersuchungstermin.

Die 21 eingeschlossenen Studien behandelten die Wirksamkeit der Substanzen     

►Atenolol, ►Bisoprolol, ►Bucindolol (in Deutschland nicht im Handel), ►Carvedilol, ►Metoprolol und ►Nebivolol

bei Patienten mit systolischer Herzinsuffizienz und entsprechend reduzierter Ejektionsfraktion.

Alle untersuchten Substanzen verminderten nach 12 Monaten die Gesamtsterblichkeit im Vergleich zu Placebo oder anderen Behandlungen (odds ratio 0.69, 95%-Konfidenzintervall 0.56 – 0.80). Aber im Vergleich der Betablocker untereinander war keine Substanz besser als die andere – und dies nicht nur bei der Gesamtmortalität, sondern auch bezüglich plötzlichem Herztod, Pumpversagen, oder Behandlungsabbruch.

Quintessenz:

  • Zur Behandlung der systolischen Herzinsuffizienz lässt sich jeder der o.g. Betablocker einsetzen und keineswegs nur die bislang in Leitlinien genannten (Originalarbeit BMJ 2013; frei unter www.bmj.com/content/346/bmj.f55)

2 Vorhofflimmern (VF) stellt, nicht nur in der hausärztlichen Praxis, unverändert die häufigste Herzrhythmusstörung dar: es tritt bei 1-2% der Bevölkerung und bei Männern häufiger als bei Frauen auf. Patienten, die unter VF leiden, haben ein fünffach erhöhtes Risiko für Schlaganfälle, die Gesamtsterblichkeit ist doppelt so hoch wie in bei Menschen ohne VF. Die Behandlung verursacht Kosten in Milliardenhöhe.

Abgesehen von der in den meisten Fällen notwendigen, unbegrenzten Antikoagulation, stellt sich die Frage: Welche Behandlung ist wirksamer - Antiarrhythmika oder chirurgische Verfahren (Ablation mit Radiofrequenzwellen bzw. Kälte)? Nähme man die rasant steigenden Zahlen für die Ablation als Maßstab, könnte man zum Schluss kommen, hier handele es sich um die Therapie der Wahl zur Behandlung des VF. Nähme, könnte…

Die in den Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (2010) aufgeführten Vergleichsstudien zeigen (siehe folgende Abbildung, Säule ganz rechts), dass nach einem Jahr wesentlich mehr Patienten „VF-frei“ waren als mit Antiarrhythmika.

Bild 3

[Seit 2010 ist eine weitere randomisierte Studie im New England Journal of Medicine (2012) publiziert worden, bei der Patienten primär, also ohne jeden medikamentösen Vorlauf, mit Ablation oder Antiarrhythmika behandelt wurden. Nach zwei Jahren gab es zwischen den Gruppen keinen statistischen Unterschied].

Die Ablation ist kein harmloses Verfahren: Gemäß einer Datenbasis, die zwischen 2005 und 2008 alle 4.156 Patienten in Kalifornien erfasste,

  • erlitten 5% intraoperative Komplikationen (0,5% verstarben),
  • 9% mussten innerhalb von 30 Tagen, 21,7% innerhalb eines Jahres und 29,6% innerhalb von zwei Jahren erneut stationär aufgenommen werden
  • Von den 390 nach 30 Tagen wiederaufgenommen Patienten verstarben 9.

Bedenklich ist auch, dass es z.Zt. noch keine Daten gibt, die zeigen, ob die Ablation langfristig zu einer Verminderung von Schlaganfällen führt oder nicht.

Trotzdem wird die Ablation in einigen renommierten Zeitschriften mit hehren Worten gelobt. So heißt es z.B. im Lancet (2012), dass das Verfahren „im Vordergrund des Behandlungsalgorithmus“ stehe und die Erfolgsraten „bei ausgewählten VF-Patienten“ über 80% betrügen.

Will man solche Aussagen bewerten, müssen die hier zugrundegelegten Kriterien für den Therapieerfolg näher beleuchtet werden. Alle bisherigen Untersuchungen haben den postoperativen Rhythmus nur mit 24-Stunden-EKGs, aber in keinem einzigen Fall kontinuierlich über längere Zeiträume dokumentiert. Heißt also z.B. „VF-frei“ oder „symptomfrei“, dass die Patienten tatsächlich kein Vorhofflimmern mehr hatten, also geheilt wurden?

Um dieser entscheidenden Frage auf den Grund zu gehen, haben kanadische Kliniker 50 für die Ablation vorgesehenen Patienten mit symptomatischem Vorhofflimmern (davon 40 mit parosymalem VF) einen kleinen Rhytmusmonitor implantiert. Das Gerät (ICM), das VF in 98,5% entdecken und aufzeichnen kann, liegt subkutan etwas unterhalb der Stelle, an der üblicherweise die Ableitung V3 des EKGs angelegt wird. Der Clou war, dass diese Einpflanzung bereits drei Monate vor der VF-Ablation erfolgte und postoperativ noch 18 Monate in situ verblieb. Die Patienten führten ein standardisiertes Tagebuch, das mit den Daten des ICM abgeglichen wurde.

Bei den 50 Patienten, die durchschnittlich 1,4 Ablationen erhielten, wurden in den 18 Monaten insgesamt 2355 „Rhythmusereignisse“ registriert:

  • 69% Vorhofflimmern/Vorhofflattern/Vorhoftachykardie
  • 16% Extrasystolen bei Sinusrhythmus
  • 4% Sinusarrhythmien und schließlich
  • 11% Artefakte

Betrachtet man die erste Kategorie VF/VFla/VHTachyk, so hatten die Patienten vor der Ablation im Mittel 2.0 Ereignisse und nach dem Eingriff 0.3 Ereignisse pro Stunde – das ist eine signifikante Reduktion um immerhin 86%. Das klingt zwar gut, ist aber (leider) nicht die ganze Wahrheit…

Denn: 18 Monate nach dem Eingriff waren 29 der 50 Teilnehmer (58%) subjektiv beschwerdefrei. Tatsächlich VF-frei und damit erfolgreich behandelt, waren laut ICM aber nur 46% - sechs Patienten (12%) wären ohne den implantierten Recorder nicht entdeckt worden. Das Verhältnis von asymptomatischen zu symptomatischen Ereignissen betrug vor Ablation 1.2, danach aber 3.7. Ob symptomatisch oder asymptomatisch: Das Schlaganfall-Risiko bleibt bestehen, solange kein Sinusrhythmus besteht und wird lediglich durch die obligate Antikoagulation vermindert.

Quintessenz:

  • Eine zahlenmäßig zwar kleine, aber methodisch herausragende Studie zeigt, dass mit invasiver Behandlung in erfahrenen Zentren nur etwas mehr als die Hälfte der Patienten symptomfrei wird.
  • Symptomfrei heißt nicht VF-frei
  • Die Ablation ist kein risikoarmes Verfahren und stellt für Patienten mit Vorhofflimmern keine grundsätzlich bessere Behandlungsoption dar als die medikamentöse (Cochrane Review 2012, s. Anhang).
  • Ob es durch die chirurgische Therapie zu einer langfristigen Verminderung des Schlaganfallrisikos kommt, ist unklar.
  • Die Ablation ist nur dann indiziert, wenn
  • Patienten an symptomatischem VF leiden,
  • keine oder eine nur minimale, strukturelle Herzkrankheit haben, und
  • eine vorhergehende medikamentöse Therapie erfolglos war, nicht vertragen wird oder kontraindiziert ist.
  • Auch ein nach Ablation asymptomatisch gewordener Patient muss die Antikoagulation unbegrenzt weiterführen

Ob diese (und andere zur Vorsicht mahnenden) Zahlen dazu führen werden, dass die weltweit - besonders aber in einem „kardiotechnikaggressiven“ Land wie Deutschland - ansteigenden Eingriffszahlen abnehmen? (Originalarbeit JAMA Int Med 2013 [hieß früher: Arch Intern Med])

3 Bleiben wir noch kurz bei dieser Rhythmusstörung: Eine klinisch und laborchemisch eindeutige Überfunktion der Schilddrüse ist bekanntlich ein klarer Risikofaktor für die Entwicklung von Vorhofflimmern (VF): Nach vorliegenden Studien entwickeln hyperthyreote Patienten in rund 8% innerhalb von 30 Tagen nach Diagnose ein VF. Höheres Alter, männliches Geschlecht und vorbestehende kardiovaskuläre Erkrankungen sind dabei prädisponierende Faktoren.

Wie aber steht es um dieses Risiko bei subklinischen Situationen, die nicht so eindeutig als Hyper- oder Hypothyreose klassifiziert werden können?

Aus der dänischen Hauptstadt Kopenhagen (Dänemark gilt als Traumland für epidemiologische Fragestellungen, aber auch als Vorbild bezüglich seines hausärztlich geprägten Versorgungssystems) stammt eine Kohortenstudie, in der Hausärzte zehn Jahre lang die Schilddrüsenfunktion von 586.460 Patienten untersuchten. Das Durchschnittsalter betrug rund 50 Jahre, 61% waren Frauen. Bei keinem der Patienten war anamnestisch eine abnorme Schilddrüsenfunktion oder Vorhofflimmern bekannt.

Von den Patienten hatten

  • 562.461 (96%) eine normale Funktion,
  • 1.670 (0.3%) eine offenkundige Hypothyreose,
  • 12.087 (2%) eine subklinische Hypothyreose,
  • 3.966 (0.7%) eine eindeutige Hyperthyreose und
  • 6.276 (1.0%) eine subklinische Hyperthyreose.

[Subklinisch war wie üblich so definiert, dass das TSH pathologisch ausfiel, die peripheren Schilddrüsenhormone jedoch im Normbereich lagen].

Erstmaliges Vorhofflimmern entwickelten während der mittleren Nachverfolgungszeit von 5,5 Jahren 17.154 Patienten (2.9%), und zwar

  • 2.9% bei Euthyreose
  • 4,6% bei Hyperthreose und
  • 2,5% bei Hypothyreose

Bei subklinisch hypothyreoten und euthyreoten Patienten war die VF-Inzidenz ähnlich; bei subklinisch hyperthreoten Personen war sie deutlich höher. Grafisch lässt sich das über die Zeit folgendermaßen darstellen (Patienten >65 J):

Bild 6

Quintessenz:

  • Schilddrüsenstörungen sind mit einer Häufigkeit von 4% in der hausärztlichen Praxis keine Seltenheit.
  • Wer sich bei einem Patienten zur initialen Funktionsprüfung entscheidet, sollte – bis auf klinisch klare Fälle – nur TSH bestimmen lassen. Bei pathologischem Ausfall sollte man im Labor u.a. die Messung der peripheren Schilddrüsenhormone aus derselben Serumprobe nachfordern.
  • Nicht nur Patienten mit eindeutiger Hyperthyreose, sondern auch Personen mit subklinisch erhöhter Schilddrüsenfunktion haben ein deutlich vermehrtes Risiko, Vorhofflimmern zu entwickeln.
  • Liegt eine offenkundige oder subklinische Unterfunktion vor, sinkt das Risiko unter das von Euthyreoten

(Originalarbeit BMJ 2012, frei unter www.bmj.com/content/345/bmj.e7895)

4 Am 30. Dezember starb in Rom die Nobelpreisträgerin Rita Levi-Montalcini – sie wurde 103 Jahr alt.

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Nach dem Abschluss ihres Medizinstudiums an der Universität Turin (1936), wollte Levi-Montalcini eine neurologische Weiterbildung beginnen. Als Jüdin war es ihr aber im Mussolinischen Italien nicht möglich, eine akademische Anstellung zu erhalten. Sie ging daraufhin nach Brüssel und 1944 nach Florenz (da war die Stadt bereits befreit), wo sie als Ärztin in einem Flüchtlingslager arbeitete. 1947 folgte sie einer Einladung von Professor Viktor Hamburger an die Washington University nach St. Louis und kehrte erst 30 Jahren später nach Italien zurück. Im Jahre 1986 erhielt sie, zusammen mit dem Biochemiker Stanley Cohen, den Nobelpreis für Medizin für die Entdeckung des Nervenwachstumsfaktors.

 
Herzliche Grüße
Michael M. Kochen

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