Lernen mit einem Portfolio
Definition:
Wer in den grafischen Künsten tätig ist, sammelt seine Werke in einer Mappe - dem Portfolio. Der Inhalt kann dazu dienen, das Geschaffene zu überblicken und Können zu demonstrieren.
Ziele
In der Medizin ist das Portfolio das Instrument des souverän und professionell lernenden Arztes. Es hilft,
- Lernbedarf und Lernbedürfnis lückenlos zu identifizieren und festzuhalten,
- geeignete Lernquellen zu finden und zu nutzen,
- Gelerntes zu wiederholen und zu verfeinern,
- eigenen Lernfortschritt zu testen,
- Praxishandeln und Lernprozeß zu reflektieren,
- nach außen Erwerb und Besitz von Kompetenz zu dokumentieren,
- und vor allem: Spaß und Zufriedenheit in der Fortbildung zu fördern.
Praktisches
Sie benötigen zunächst einen Stichwort-Zettel, der während Ihrer Arbeit in der Praxis jederzeit zur Hand ist; ein geeigneter Platz ist z.B. in Ihrem Terminkalender oder unter der Schreibtischunterlage. Dort notieren Sie sich jedes Problem, zu dem Sie mehr wissen oder können möchten.
Vermutlich begegnen Ihnen zwei Sorten von Problemen:
1) spezifische oder "kleine" Probleme, die sich meist durch individuelle Patienten ergeben und deren Tragweite nicht so groß ist: "Was ist der Normwert der Creatinin-Clearance? Ist bei oberflächlicher Thrombophlebitis der Beine eine Heparingabe sinnvoll?" wären typische Beispiele.
2) allgemeine oder "große" Probleme, die sich auf Kompetenzen beziehen, die in einer Vielfalt von Situationen gefordert sind; etwa: "ich möchte besser mit depressiven Patienten umgehen können! ich sollte einfache Techniken der Manuellen Medizin beherrschen!"
Zu Hause haben Sie eine Mappe oder einen Ordner (das eigentliche Portfolio), in die Sie jedes dieser Probleme übertragen. Da die "kleinen" Probleme sich in der Regel schnell erledigen lassen, können Sie auf dem entsprechenden Formular eine größere Zahl festhalten.
Für die großen Probleme lohnt sich jeweils ein eigenes Blatt. Wichtig ist, den schraffierten Teil auszufüllen: jetzt ist das Thema präsent und wird sich in Ihren Gesichtskreis drängen, sobald Sie Ihr Portfolio öffnen. Vor allem die zweite Sorte von Formular ist nicht ganz einfach; beachten Sie deshalb die Hinweise zur Benutzung. Das Leerformular dürfen Sie sich gerne für Ihren persönlichen Bedarf kopieren - für Ihr stetig wachsendes Portfolio.
Heften Sie alles ein, was Ihren Lernprozeß fördert, strukturiert oder dokumentiert. Das Programm einer Veranstaltung, kurze Gesprächsnotizen, persönliche Andenken - der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Jeder Mensch lernt anders: die Stärke des Portfolios ist gerade seine Flexibilität, passen Sie es Ihrem persönlichen Lernstil an!
Formulare
Als praktische Hilfe stellen wir Ihnen zwei verschiedene Formulare zur Verfügung, eines für "große" und eines für "kleine" Probleme. Die Idee des Portfolios wie auch die des souveränen Lernens allgemein hängen natürlich nicht an diesen Formularen. Nehmen Sie diese vielmehr als Anregung, wenn Sie Ihren eigenen Stil entwickeln. Zur hier dargelegten Lernphilosophie gehören aber:
1. die schriftliche Form, und damit ausdrückliche Festlegung von Lernbedarf bzw. der Zielrichtung Ihres Lernens,
2. Rechenschaft über die benutzten Quellen und Hilfen,
3. eine kritische Prüfung, ob das selbstgestecke Ziel erreicht worden ist und schließlich,
4. daß Sie Ihre knappe Fortbildungs-Zeit nicht angebotsorientiert verbringen (abhängig von Veranstaltungen vor Ort oder dem Inhalt kostenlos und ungebeten zugesandter Hochglanz-Zeitschriften), sondern aktiv gestalten entsprechend den Problemen Ihrer Praxis
Mentor
Sie werden merken, daß es schwierig ist, regelmäßig ein Portfolio zu führen. Sie brauchen deshalb einen Mentor. Dieser ist Ihr Publikum und getreuer Eckermann; er lobt Sie, ermuntert Sie und hilft im Gespräch, die Dinge zu klären. Er macht Sie auch auf Widersprüche oder Mängel aufmerksam und hilft Ihnen über flaue Zeiten hinweg. Es sollte ein kluger, vertrauenswürdiger und erreichbarer Mensch sein, der Ihre Arbeit versteht - ohne unbedingt Arzt oder gar Allgemeinarzt sein zu müssen. Auch gegenseitiges Mentorenschaft oder eine feste Kleingruppe können sinnvoll sein.
Assessment
Die Lücken, die wir sehen, sind das Eine; die Lücken die wir noch nicht einmal erahnen, sind das Andere. Nutzen Sie jede Gelegenheit, Ihr Wissen und Ihr Können überprüfen zu lassen (Multiple-choice-Fragen in Zeitschriften, CD-ROMs, gegenseitige Hospitationen von Kollegen, systematische Praxisanalyse im Rahmen eines Qualitätszirkels, Auswertung eigener Verschreibungsdaten usw.). Diese Dokumentation gehört in Ihr Portfolio, einschließlich des Ergebnisses und solcher Punkte, die vertieft werden müssen ("kleines" oder "großes" Problem).
Hindernisse
Möglicherweise finden Sie das Lernen mit Portfolio zu kompliziert und zu aufwendig. Ein spezielle Schwierigkeit für Ärzte besteht darin, daß wir in der Praxis überwiegend in kleinen Portionen (Konsultation) und reaktiv (Patient klagt ein Symptom) arbeiten. Demgegenüber steht das Portfolio für ein aktives Herangehen mit langem Atem. Dieses Lernprinzip ist auch ungeeignet für solche Kollegen, welche die Formulierung eines Lern-Bedarfs oder -Bedürfnisses (d.h. einer irgendwie gearteten Kompetenzlücke) nicht mit ihrem professionellen Selbstbild vereinbaren können. Möglicherweise sind diese Kollegen überhaupt nur sehr eingeschränkt lern- und entwicklungsfähig; das Portfolio werden sie als besonders bedrohlich empfinden, da hier Lernbedarf Schwarz auf Weiß formuliert werden muß. Ein bißchen davon steckt jedoch in jedem von uns. Paradoxerweise muß man vom Portfolio sagen: je mehr sich sich Einer von der Idee abgeschreckt fühlt, desto mehr kann Ihm das Portfolio bieten.
Ergebnis
Wenn Sie sich auf das Lernen mit Portfolio einlassen, werden Sie sehen, daß Sie sich verändern: Sie werden mehr Spaß am Lernen haben, effektivere Quellen und Lernmethoden entdecken und mit all dem eine andere Auffassung vom Beruf entwickeln. Wenn Sie sich die Beispiele von Mentoren in der Weltliteratur ansehen, so haben sie vor allem in Zeiten persönlicher Veränderung und Entwicklung segensreich gewirkt. Als Allgemeinärzte sind wir permanent dem Zwang zur Veränderung ausgesetzt; die hier beschriebene professionelle Lernmethode will Ihnen helfen, in dieser stürmischen See Ihr Boot wieder etwas mehr selbst zu steuern.
Literatur
Burrows P, Millard L. Personal learning in general practice. Education for General Practice 1996;7:300-5.
Davis DA, Fox RD. The Physician as Learner. Linking Research to Practice. American Medical Association, 1995.
Freeman R. Mentoring in General Practice. Oxford: Butterworth&Heinemann; 1998.
Royal College of General Practitioners. Portfolio-based Learning in General Practice. Report of a Working Group on Higher Professional Education. London: The Royal College of General Practitioners. Occasional Paper 63;1993.
Slotnick HB. How Doctors Learn: Physicians' Self-directed Learning Episodes. Acad Med 1999;74:1106-17.
Rückmeldung
Es wäre schön, wenn Sie bei Gelegenheit von Ihren Erfahrungen mit dem Portfolio berichten könnten. Das gilt für positive wie auch negative. Ich stehe Ihnen auch bei Unklarheiten und für weitere Informationen zur Verfügung:
Prof. Dr. med. Norbert Donner-Banzhoff, M.H.Sc.
Arzt für Allgemeinmedizin
Abeilung für Allgemeinmedizin, Präventive und Rehabilitative Medizin
Universität Marburg
Karl-von-Frisch-Straße 4
35043 Marburg
Tel.: 06421 / 2865120
Email: norbert@staff.uni-marburg.de